„Wir machen hier die Regeln“ – Die polizeiliche Missachtung von bürgerlichen Grundrechten im Vorfeld der Europameisterschaft 2024

Am 14. Juni 2024 startet sie, die Fußball-Europameisterschaft der Männer, mit ihrem Eröffnungsspiel in München. Die polizeilichen Vorbereitungen auf das Turnier laufen jedoch „schon seit längerer Zeit. So schreibt Heiner Effern in der Süddeutschen Zeitung, erste deutschlandweite Vernetzungen der Münchner Polizei liefen „bereits seit 2020.

Neben der bayrischen Landeshauptstadt bereiten sich auch neun weiteren Spielorte auf das Ereignis vor. In Berlin erfolgte etwa eine dreitägige Übung „im Rahmen der Projektgruppe >>EURO 2024<< und wurde von den drei Landesbehörden sowie die Landesdirektion der Bundespolizei absolviert. Auch in Hamburg übten die Bundespolizei Ratzeburg zusammen mit den Bereitschaftspolizeien Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern bei einem „Stresstest am Bahnhof Bergedorf für die Fußball-EM 2024„.

Die Folgen all dieser polizeilichen Vorbereitungen sind jetzt unmittelbar spürbar und das für Fanszenen in ganz Deutschland [siehe Chronik].

 

„Üben mit Störern aus eigenen Reihen“

Das Beispiel Paderborn.
In ihrer „Topstory“ berichte Streife – Das Magazin der NRW-Polizei von einem Übungsszenario, bei dem „es im Oktober 2022 richtig zur Sache“ ging. Der Anlass dieser Großübung beim SC Paderborn 07 war eindeutig – die „Vorbereitung auf die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland“. Die an dem Szenario beteiligten Polizist*innen waren entsprechend gut ausgestattet, „dutzende Einsatzfahrzeuge und -busse sowie technische Hilfsmittel wie Drohnen“ standen ihnen zur Verfügung. Auch „eine sogenannte >>Bearbeitungsstraße<<war mitaufgebaut. Der Zweck? „Dort werden die Personen erfasst, die auf der Anreise Störungen bzw. Straftaten begangen haben […] Mit Laptop und Kamera ausgerüstet, werden die Personalien erfasst und gegebenenfalls Lichtbilder von den Personen gemacht, um Täter im Rahmen von anschließenden Ermittlungen zuordnen zu können. Ein Skript, welches unweigerlich an die Maßnahmen gegenüber hsv-Fans am 18.02.2024 in Hamburg-Bergedorf erinnert. Die Szenarien in den Übungen ähneln stark den jetzt durch die Polizei(en) herbeigeführten bzw. zum Anlass genommenen realen Situationen. 

Das polizeiliche Verständnis von Fußballfans scheint dabei ausschließlich eines zu sein, welches den Fan als potenziellen Störer begreift und nicht mehr als Menschen. Folgerichtig müssen die „Beamtinnen und Beamten auch schon mal etwas nachhelfen“, „sofern von Freiwilligkeit wenig zu spüren“ ist. Wie ein solches ‚Nachhelfen‘ aussehen kann, zeigte eine Großübung in Köln, die „möglichst nah an der Realität sein [sollte], damit die Einsatzkräfte auf mögliche Szenarien bei der Fußball-EM vorbereitet sind“. Die Folge? Ein „Polizist, der bei der Übung einen Hooligan verkörperte, erlitt eine Fraktur am Unterschenkel und musste operiert werden„.
Das unprofessionelle Handeln scheint selbst in Übungsszenarien folgenlos zu bleiben, denn auch hier „können nicht alle Maßnahmen, […] auf ihre Wirksamkeit bzw. Angemessenheit abgeklopft werden. Ein Umstand, welcher für die Zukunft schlimmeres befürchten lässt.

 

Feindbild Fußballfan?!

Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) sprach zuletzt im Dezember 2023 von einem „zunehmende[n] Maß an Gewalt und den Einsatz von Pyrotechnikin Zusammenhang von Fußballspielen. Beides führe zu „Gefährdungen von Leib und Leben von Stadionbesucherinnen und -besuchern, Ordnungsdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und Polizeikräften“. Das gezeichnete Bild war eindeutig, Stadien seien Orte der ‚Gewalt‘ und man müsse jetzt „ein entschlossenes Verhalten gegenüber gewaltbereiten Fans. Gewalt gehe aus dieser Perspektive ausschließlich und alleinig von Fans aus.

Unserer Ansicht scheint es naheliegend, dass sowohl die politische Stimmungsmache der IMK als auch die aktuellen Übergriffe einen Praxistest für die Europameisterschaft 2024 darstellen und der Abschreckung dienen sollen! Daneben erweitern und aktualisieren die Polizeien ihre ’szenetypischen‘ Datensammlungen, was etwa zudem der zukünftigen Rechtfertigung von Aufenthaltsverboten und/oder Meldeauflagen dienen könnte. Die Relevanz solcher Datensammlungen lassen sich anhand von Aussagen Dirk Hulverscheidts erahnen.  Dieser betonte als leitender Polizeidirektor in NRW in Hinblick auf die Datei Gewalttäter Sport zuständige Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS): „Da laufen die Fäden aus dem Ausland zusammen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt für den Informationsaustausch auch im normalen nationalen wie internationalen Fußballbetrieb„.

Laut dem Bundesministerium des Innern und für Heimat sind „die Polizistinnen und Polizisten der Länder und des Bundes, […] im Turnieralltag ein Gesicht des Gastgeberlandes Deutschland. Bisher stellt dieses Gesicht für Fans vielmehr eine hässliche Fratze dar, welcher wir zuletzt leider allzu oft begegnet sind. Als Fanhilfe des FC St. Pauli steht daher für uns fest: Die zunehmende polizeiliche Gewalt gegenüber Fußballfans muss beendet werden! Freiheits- und Bürgerrechte von Fans sind zu achten! Es reicht!

 

Braun-Weisse Hilfe | März 2024